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Waldwandern in „Wild“ – unser Ausflug zum Urwald vor den Toren Saarbrückens
13 Minuten S-Bahnfahrt vom Saarbrücker Bahnhof, drei Minuten anschließender Fußweg – schon beginnt die Wildnis in Saarbrücken. Auf rund 1000 Hektar wächst hier – mitten im Saarkohlenwald – ein neuer Urwald heran. Und damit ein ganz besonderes Stück Wildnis in Deutschland.


Der Urwald ist das Ergebnis eines bundesweiten Aufrufs der NABU-Kampagne „Lebendiger Wald“ aus den 90er Jahren, die Waldbesitzer:innen dazu ermutigte, ihre Flächen ganz aus der Nutzung zu nehmen oder aber zumindest naturnah zu bewirtschaften. Nach der Ausweisung eines kleineren Teilgebietes als Naturschutzgebiet im Jahr 1997, ist das „Projekt „Urwald vor den Toren der Stadt“ 2002 offiziell: Auf der gesamten Fläche werden seitdem nur noch minimale Pflegemaßnahmen umgesetzt – zum Schutz der Besucher:innen. Sonst schweigen die Motorsägen.
Mensch und Urwald – ein Widerspruch?
Auf schmalen Pfaden durch die Wildnis
Dass hier wenig in die Entwicklung der Natur eingegriffen wird, fällt sofort auf: Abgestorbene Bäume werden hier nicht weggeräumt, sondern bleiben liegen und werden als Totholz zu wertvollem Lebensraum für Insekten und Pilze. Wer hier entlanggeht, muss über den ein oder anderen querliegenden Stamm steigen oder matschige Stellen umgehen, kommt an Tümpeln vorbei. Je nach Besucher:innen - Aufkommen und Wetterbedingungen ändert sich die genaue „Wegeführung“ schon auch mal. „Die Wege sind mal breiter, mal schmaler. Und wenn ein Baum umfällt, kommen kleine Umgehungspfade dazu“, erklärt Revierleiterin Helena Stein das „Eigenleben“ der Trampelpfade, die hier breit angelegte oder sogar ausgebaute Waldwege ersetzen. Abstimmung mit den Füßen nennt man das hier.


„Wir haben für die Wegeführung anfangs mit Künstler:innen aus dem Land-Art-Bereich zusammengearbeitet“, berichtet Urwald-Ranger Karl Hermann. „Die einzige Vorgabe war, spannende Stellen innerhalb des Waldes durch Pfade miteinander zu verbinden und dabei die bestehenden Forstwege möglichst auszuklammern. Am Ende sind wir dann tatsächlich mit einem Besen durch den Wald gelaufen, die ersten Pfade sind also durch Fegen entstanden“. Einer dieser besonders spannenden Orte im Wald ist der „kleine Fuji“. Über steile Stufen kann man diesen Mini-Berg mitten im Saarbrücker Urwald erklimmen – und erhält als Belohnung einen Ausblick über die Baumkronen.


Der Urwald als Zeitzeuge und Forschungslabor
Gleichzeitig zeigt der Saarbrücker Urwald auch Spuren der deutschen Geschichte: Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg prägen Teile des Gebietes. In ihnen entwickeln sich eigene kleine Biotope, an denen die Trampelpfade entlangführen. Aber auch über hundert Jahre alte Relikte aus dem ehemaligen Steinkohlebergbau sind hier noch zu entdecken, die sich die Natur nun Stück für Stück zurückerobert.






Ohne Handy ins Wildniscamp
Einen besonders hohen Stellenwert haben im Urwald Kommunikation und Umweltbildung: Regelmäßig verbringen Schulklassen zwei bis drei Tage im eigens eingerichteten Wildniscamp, ganz ohne Strom und fließendes Wasser. Viele schlafen hier das erste Mal in ihrem Leben unter freiem Himmel und verbringen das erste Mal seit Langem Zeit ohne ihr Handy. „Das ist für die meisten tatsächlich erstmal eine Grenzerfahrung, ihre Handys abgeben zu müssen“, berichtet Helena Stein. Aber: Schon nach kurzer Zeit kommen die Kids in der „analogen“ Welt des Urwalds an – und vermissen TikTok & Co. plötzlich gar nicht mehr. „Es geht uns hier nicht vorwiegend darum, Fachwissen zu vermitteln – viele Kinder kennen auch nach dem Wildniscamp den Unterschied zwischen Eiche und Buche nicht genau. Unser Ziel ist es vielmehr, ihnen überhaupt mal wieder Lust auf Natur zu machen, sie zum Rausgehen zu animieren, ihnen zu zeigen, wie spannend Natur doch eigentlich ist“, betont Karl Hermann.
Es geht darum, die Natur hautnah zu erleben, Gemeinschaft zu spüren, die Wildnis mit allen Sinnen zu erfahren und in ihren Rhythmus einzutauchen – und das niedrigschwellig und ohne großen Aufwand. „Oft sind die Kids total überrascht, wenn sie nach zwei oder drei Tagen im Wildniscamp mit uns zurück zur Straßenbahn gehen. Dann merken sie erst wieder, dass die Zivilisation die ganze Zeit direkt um die Ecke war. Im Wald vergessen sie das ganz schnell und fühlen sich wirklich wie ‘mitten in der Wildnis’“.


Weitere Infos rund um den Urwald vor den Toren Saarbrücken gibt es hier.
Um Menschen mit verschiedensten Interessen und Hintergründen in den Urwald zu „locken“, wurde außerdem in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ein innovatives Kommunikationskonzept erarbeitet. „Da gab es Veranstaltungen, die mit einem Vortrag starteten, mit einer literarischen Nachtwanderung weitergingen und zum Abschluss bekamen alle noch eine Mitternachtssuppe – und schon hat man die verschiedensten Menschen mit unterschiedlichsten Interessen mit dabei“, so Urwald-Ranger Karl Hermann. „Und wenn die dann einmal da waren, dann werden sie auch zukünftig auf Veranstaltungen aufmerksam – und kommen wieder“.
Der „Urwald vor den Toren der Stadt“ ist eine Einladung: Komm raus, entdecke die Wildnis, die direkt vor unserer Haustür wächst – und erlebe ein Stück ganz besondere Natur, die in direkter Nachbarschaft zur Stadt wieder Wildnis sein darf. Unser Fazit: Es lohnt sich allemal. Wir kommen wieder!